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Die Erkenntnisse aus sieben Jahren Wohnbauforschung

Seit sieben Jahren begleiten wir Wohnbauprojekte und optimieren diese in energetischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Die sechs wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Arbeit haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst.

Seit sieben Jahren begleiten wir Wohnbauprojekte und optimieren diese in energetischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Die sechs wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Arbeit haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus sieben Jahren Wohnbauforschung in Vorarlberg, aus ähnlichen Projekten in Tirol sowie in Deutschland und der Schweiz werden derzeit im EU-Projekt „low cost nearly zero energy buildings“ zusammenfasst und für verschiedene Zielgruppen aufbereitet. Hauptziel des vom Energieinstitut Vorarlberg geleiteten Projekts ist der Erfahrungsaustausch mit den wissenschaftlichen Partner*innen Universität Innsbruck und Hochschule Rosenheim sowie zwischen jenen und Akteur*innen der Bauwirtschaft (Bauträger, Architekt*innen, Fachplaner*innen). Im EU-Projekt werden u. a. die folgenden Fragen untersucht:

  • Welches Energieniveau ist im Lebenszyklus kostenoptimal?
  • Welches Energieniveau ist kompatibel zu den internationalen, nationalen und regionalen Klimaschutzzielen?
  • Welche Konzepte zum Bau kostenoptimaler, Klimaschutzziel-kompatibler und auch im zukünftigen Sommerklima behaglicher Gebäude haben sich in der Praxis bewährt?

Die nachfolgend zusammengefassten Zwischenergebnisse des EU-Projekts bei der Analyse der Wohnbauforschungsprojekte wurden bei der 10. Session des economicum am 22. 10. 2020 präsentiert. Sie werden im Themenband zur Session detailliert beschrieben.

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1. Kostenoptimal sind Gebäude mit drastisch reduziertem Energiebedarf

Wie die detaillierten Wirtschaftlichkeitsberechnungen für das mit der VOGEWOSI realisierte Projekt KliNaWo in Feldkirch zeigen, liegt das kostenoptimale Energieniveau bei Primärenergiekennwerten, die etwa 2/3 unter den aktuellen Mindestanforderungen der Bautechnikverordnung Vorarlberg liegen. Gleiches gilt für die Treibhausgasemissionen. Die Bauwerkskosten der kostenoptimalen Varianten liegen um etwa 3 bis 5 % über denen von Vergleichsvarianten nach den Mindestanforderungen der BTV.

Die genannten Ergebnisse wurden durch die Praxiserfahrungen bestätigt: Die abgerechneten Kosten des Projekts lagen niedriger, als die Kosten zum Planungsstand Vergabe und deutlich niedriger, als die Durchschnittskosten aller zeitgleich errichteten gemeinnützigen Wohnbauprojekte in Vorarlberg. Der gemessene Endenergiebedarf für Heizung und Warmwasser lag mit 14 bzw. 16 kWh/m2 WNFa sowohl im ersten als auch im zweiten Messjahr leicht unter dem vorausberechneten Wert von 17 kWh/m2 WNFa. Das Gebäude ist eines der Mehrfamilienhäuser mit dem niedrigsten gemessenen Energieverbrauch in Österreich.

Die Stromkosten liegen bei monatlichen 10,50 Euro für Heizung und Warmwasserbereitung pro 76 m2- Wohnung. Aufgrund der niedrigen Errichtungskosten und der niedrigen gemessenen Energieverbräuche konnte die Miete zwei Mal gesenkt werden. Die Ergebnisse des Projekts KliNaWo zur Wirtschaftlichkeit wurden in einem nachfolgenden Forschungsprojekt an knapp 10 weiteren Objekten bestätigt.

2. Hohe Hüllqualitäten sind wirtschaftlich – in jeder Konstruktionsart

Die im Projekt KliNaWo bestimmten Mehrkosten einer sehr hochwertigen Gebäudehülle (Passivhaus-Niveau) gegenüber einer Hülle nach den Mindestanforderungen der Bautechnikverordnung liegen mit etwa 25,– Euro/ m2 WNF so niedrig, dass sie im Lebenszyklus wirtschaftlich ist. Zum gleichen Ergebnis – hohe Hüllqualität ist wirtschaftlich – kommt auch die Kostenoptimalitätsstudie des OIB von 2018.

Hohe Hüllqualitäten sind auch deshalb wirtschaftlich, weil sie zu reduzierten Haustechnikkosten führen. Dies gilt besonders für Gebäude mit Sole-Wärmepumpen, wo die Sondenlänge deutlich reduziert werden kann. Die Erkenntnisse des KliNaWo-Projekts zum kostenoptimalen Hüllniveau wurden auch in den Nachfolgeprojekten Wolfurt-Lerchenstraße (Wohnbauselbsthilfe + Rhomberg Bau) sowie Dafins (Alpenländische Heimstätte) umgesetzt. Auch diese Projekte haben Gebäudehüllen in Passivhausniveau.

Das Projekt in Wolfurt, in dem ein Baukörper massiv und einer in Holzbauweise errichtet wurde, zeigt, dass die Konstruktionsart nur einen minimalen Einfluss auf die Gesamtkosten des Gebäudes hat: Holz- und Massivbau sind fast kostengleich.

Vergleich der Ergebnisse der PHPP-Verbrauchsprognoseberechnung mit dem realen Verbrauch des Projekts KliNaWo in den Jahren 2018 und 2019.

3. Wir brauchen keine Gasheizungen im Neubau

Die Analyse der Vorarlberger Wohnbauforschungsprojekte und der weiteren innovativen Projekte im deutschsprachigen Raum zeigt, dass niedrigste Emissionen mit einer Vielzahl an Energieversorgungssystemen wirtschaftlich erreicht werden können: ein großer Teil der Projekte wird über Wärmepumpen beheizt, andere über erneuerbare Nah/ Fernwärme, einige mit Biomasse.

Damit ist in der Praxis demonstriert, dass im Neubau keine fossilen Heizsysteme mehr erforderlich sind.

4. Optimierte Wärmeversorgungssysteme sind wirtschaftlich

Auch Wärmeversorgungssysteme mit klimafreundlichen Energieträgern wie Wärmepumpenstrom, erneuerbarer Nah-/Fernwärme und Biomasse müssen in Planung und Betrieb optimiert werden. Die Praxiserfahrungen der untersuchten Projekte zeigen:

  • dass Wärmeerzeuger in hocheffizienten Gebäuden deutlich kleiner dimensioniert werden können, als bei Auslegung nach Norm. Dies führt – vor allem bei Sole-Wärmepumpen – zu deutlich reduzierten Haustechnikkosten.
  • dass marktbeste Wärmepumpen auch in der Praxis sehr gute Effizienzen erreichen.
  • dass die Verluste zentraler Wärmeversorgungssysteme für Speicherung und Verteilung bei guter Planung und Einregulierung stark reduziert werden können. Gut geplante Systeme haben kurze, sehr gut gedämmte Verteilsysteme, gut schichtende und gut gedämmte Speicher und werden auf möglichst niedrigem Temperaturniveau betrieben.
  • Wärmeversorgungsvarianten mit hocheffizienter dezentraler Warmwasserversorgung (wohnungsweise Warmwasserbereitung mit Wärmepumpen) erreichen in der Simulation ähnliche Effizienzen wie optimierte zentrale Systeme – in der Praxis werden zentrale und dezentrale Systeme in den beiden ansonsten baugleichen Gebäuden in Dafins ab Herbst 2020 verglichen.
  • Dezentrale, direktelektrische Wärmeversorgunsgssysteme (Infrarotheizung, sonstige Stromheizsysteme, Durchlauferhitzer oder el. Kleinspeicher) haben in drei messtechnisch begleiteten Gebäuden in Österreich und Deutschland weit höhere Stromverbräuche als wärmepumpenversorgte Gebäude. Auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit sind wärmepumpenbasierte Systeme direktelektrischen überlegen.

5. Solarthermie ist nach wie vor sinnvoll, große PV-Anlagen sind wirtschaftlich

Die Kostenauswertungen im KliNa- Wo-Projekt zeigen eine starke Kostendegression bei größeren thermischen Solaranlagen. Solarthermie bleibt deshalb auch in hocheffizienten Gebäuden eine sinnvolle Alternative oder Ergänzung zu PV-Anlagen (vor allem in Kombination mit Fernwärme oder Biomasse). In Mehrfamilienhäusern sind inzwischen auch große PV-Anlagen wirtschaftlich.

Im Projekt Dafins lagen die Kosten von 30 kWp- Anlagen mit unter 900,– Euro/kWp drastisch niedriger, als 4 Jahre zuvor im Projekt KliNaWo. Da inzwischen auch die Nutzung des PV-Stroms zur Deckung des Haushaltsstrombedarfs in Mehrfamilienhäusern rechtlich ermöglicht wurde („Mietrestromgesetz“), steigen die Eigennutzungsgrade. Im Projekt Dafins konnte daher eine 30kWp-Anlage pro Gebäude mit 6 Wohneinheiten wirtschaftlich realisiert werden – pro Wohnung wird mit 5kWp eine weit größere Leistung bereitgestellt, als in üblichen MFH-Neubauprojekten.

Das Projekt Dafins kann aufgrund seiner hohen Effizienz und der großen PVAnlage pro Jahr gleich viel Strom erzeugen, wie es für Heizung, Warmwasser, Hilfs- und Haushaltsstrom verbraucht.

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6. Behaglichkeit im Sommer muss auch für Klima 2050 gewährleistet sein

Die Messergebnisse der bisher ausgewerteten Projekte zeigen, dass die sommerliche Behaglichkeit auch im „Jahrhundertsommer“ 2018 gewährleistet werden konnte. Bei der Planung sollten schon heute auch Berechnungen mit dem für 2050 zu erwartenden Sommerklima durchgeführt werden. Um Gebäude auch für dieses, nochmals wärmere Klima behaglich zu halten, sollte ein Konzept erarbeitet werden, in dem zunächst die folgenden Low-Tech-Ansätze auf Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft werden:

  • Begrenzung des Fensterflächenanteils
  • Optimierung starrer Verschattungen
  • Bewegliche Verschattungseinrichtungen
  • Nachtlüftung, z. B. durch ein evtl. vorhandenes Atrium
  • Komfortlüftungen mit WRG ggf. mit Erdreichwärmetauschern ausstatten und im Sommer im forcierten Nachtlüftungsbetrieb betreiben
  • vorhandene Speichermassen nutzbar machen

Zeigen Auslegungsberechnungen, dass die Gewährleistung eines behaglichen sommerlichen Komforts trotz dieser Maßnahmen mit 2050er Klima nicht möglich ist, sollten die Haustechniksysteme so ausgeführt werden, dass sie eine effiziente, milde Kühlung von Anfang an oder nach kostengünstiger Nachrüstung ermöglichen. Dies ist beispielsweise in Gebäuden mit Wärmepumpe und Flächenheizsystem der Fall, wenn ein 4-Leiter oder ein 2+2-Leitersystem gewählt wird.

Resümee

Die Auswertung der Praxiserfahrungen der untersuchten innovativen Projekte zeigt, dass Klimaschutzziel-kompatible und behagliche Mehrfamilienhäuser schon heute wirtschaftlich errichtet und betrieben werden können. Meist sind dafür nur geringfügige, jedoch gut aufeinander abgestimmte Änderungen bisheriger Konzepte notwendig. Das Energieinstitut wird – aufbauend auf den Erkenntnissen aus den Modellprojekten – ein Beratungsprogramm anbieten, in dessen Fokus die Optimierung von Mehrfamilienhausprojekten im Hinblick auf Energieeffizienz, Kosten und Wirtschaftlichkeit sowie Behaglichkeit steht.