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Gemeindebauten | Vorbild für den Wohnbau?

Die Vorarlberger Gemeinden üben sich nicht in Zurückhaltung, wenn es um die Nachhaltigkeit ihrer Gebäude geht. Ob und wie diese Exzellenz auf den Wohnbau übertragbar ist, diskutierten Dietmar Lenz vom Umweltverband, Martin Ploß vom Energieinstitut Vorarlberg, der Wolfurter Bürgermeister Christian Natter und Prokurist Jürgen Loacker von der Wohnbauselbsthilfe.

Die Vorarlberger Gemeinden üben sich nicht in Zurückhaltung, wenn es um die Nachhaltigkeit ihrer Gebäude geht. Ob und wie diese Exzellenz auf den Wohnbau übertragbar ist, diskutierten Dietmar Lenz vom Umweltverband, Martin Ploß vom Energieinstitut Vorarlberg, der Wolfurter Bürgermeister Christian Natter und Prokurist Jürgen Loacker von der Wohnbauselbsthilfe.

Bereits im Jahr 2000 entwickelte der Umweltverband des Vorarlberger Gemeindeverbandes, dem in Vorarlberg alle 96 Gemeinden angehören, gemeinsam mit dem Energieinstitut Vorarlberg de „Ökoleitfaden Bau“, der Gemeinden dabei unterstützen sollte, die energetische und ökologische Qualität ihrer Gebäude zu verbessern. Kurz darauf wurden in Langenegg die ersten Gebäude anhand dieses Leitfadens errichtet. Die Erfahrungen zeigten, dass zu einer umfassenden Umsetzung einer hohen Gebäudequalität sowohl die Planungs- als auch die Ausführungsprozesse selbst hohe Anforderungen an die beteiligten Akteure adressierten – denen die mit vielen anderen Aufgaben behafteten Verantwortlichen in den Gemeinden nur schwer gewachsen waren. 2006 wurde daher das Servicepaket „Nachhaltig:Bauen in der Gemeinde“ ins Leben gerufen, das die Gemeinden von der Idee bis zur Realisierung ihrer Bau- und Sanierungsvorhaben begleiten sollte. Der Erfolg war immens: bis heute wurden über 80 Gemeindegebäude über das Servicepaket, das vom Umweltverband (Koordination, Vergaberecht), dem Energieinstitut Vorarlberg (Planung, Energie) und dem Büro Spektrum (Bauökologie, Qualitätssicherung) betreut wird, abgewickelt.

Die Weiterentwicklung des Ökoleitfadens zum „Kommunalen Gebäudeausweis“ als Rückgrat des Servicepakets und mittlerweile auch als Grundlage für die Bemessung der vom Land ausgeschütteten Bedarfszuweisungen dient, hat die Attraktivität des Servicepakets für die Gemeinden und die Professionalität in der Begleitung weiter erhöht – sodass insbesondere in jüngster Zeit Gebäude realisiert wurden, die in Punkto Ökologie, Qualität der Ausführung und Nutzungskomfort absolute Leuchttürme im nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Bauen darstellen. Neben der Planungs- und Ausführungsqualität spielt die Evaluierung der gesetzten Ziele eine große Rolle. Insbesondere bei Schulen und Kindergärten setzen die Gemeinden hohe Erwartungen in die Raumluftqualität, die – so belegen die Messungen – in so gut wie allen Fällen mehr als erfüllt werden. Die Reduktion von Schadstoffemissionen im Innenraum um 90% gegenüber konventionellen Gebäuden ist keine Seltenheit.

„Gerade bei Schulen und Kindergärten spielt die Reduktion von Schadstoffen eine große Rolle. Wir helfen den Gemeinden dabei, diese Erwartungen zu erfüllen.“ DI Dietmar Lenz über eine zentrale Motivation der Gemeinden, sich vom Servicepaket „Nachhaltig:Bauen in der Gemeinde“ begleiten zu lassen.

Während in den Gemeinden weitgehend Konsens über die hohen Anforderungen an die Qualität öffentlicher Gebäude herrscht, teilt der Wohnbau diese Ansicht noch nicht flächendeckend. DI Martin Ploß vom Energieinstitut Vorarlberg stellte sich daher eingangs seines Vortrags über das Wohnbauforschungsprojekt „Klinawo – Klimagerechter, nachhaltiger Wohnbau“ die Frage, ob man „gesund oder billig bauen wolle“. Da sich gesundes und energieeffizientes Bauen in hoher Qualität zwar nicht in niedrigeren Errichtungs-, wohl aber in geringeren Lebenszykluskosten niederschlage, forderte er eine gesamtheitlichere Betrachtung in der aktuell herrschenden Kostendiskussion, womit sich die dritte Veranstaltung im Rahmen der Energie Lounge 2016 wie ihre beiden Vorgängerinnen ebenfalls intensiv mit dem Thema „leistbares Wohnen“ beschäftigte.

Im Rahmen des Projekts „Klnawo“, das vom Energieinstitut Vorarlberg gemeinsam mit der Vogewosi, der Arbeiterkammer und alpS durchgeführt wird, haben sich die beteiligten Institutionen auf die Suche nach dem kostenoptimalen gemeinnützigen Wohnbau gemacht. Anhand eines – derzeit in Feldkirch in Bau befindlichen – Objekts des gemeinnützigen Bauträgers Vogewosi wurden verschiedene Ausführungsvarianten, Energie- und technische Ausstattungsstandards anhand realer (weil in Varianten ausgeschriebenen) Kosten miteinander verglichen. Über 60.000 Varianten wurden detailliert berechnet. Das Ergebnis: die über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes (Errichtung, Wartung, Betrieb) betrachtete kostenoptimale Variante liegt nahe am Passivhausstandard und verfügt über eine thermische Solaranlage zur Warmwasserbereitung und mit einer Erdwärmepumpe ein ökologisches Heizsystem. Eine Abluftanlage (aus Gründen der technischen Einfachheit entschied sich der Bauträger für dieses System) sorgt in Verbindung mit der hohen Hüllqualität für ein Gebäude, in dem gesundes Wohnen garantiert ist – im Gegensatz zu jenen 15% der der Wohnungen in Österreich, die schimmelbelastet sind.

„Es kann nicht nur um billiges Bauen gehen. Es muss über gesundes, nachhaltiges Bauen und kostengünstiges Wohnen diskutiert werden“. DI Martin Ploß fordert basierend auf den bisherigen Erkenntnissen unter anderem aus „Klinawo“ einen Paradigmenwechsel in der Diskussion um die Baukosten.

Weitere Erkenntnisse aus dem umfassenden Variantenvergleich zementierten Erkenntnisse anderer Projekte außerhalb Vorarlbergs: die Mehrkosten für energetisch optimierte Varianten betragen zwischen 4 und 6% der Errichtungskosten von Gebäuden, die den gesetzlichen Mindeststandards entsprechen und amortisieren sich über die Lebensdauer; die Mehrkosten für ökologisch weiter optimierte Varianten (z.B. Holzbau statt Massivbau mit Wärmedämmverbundsystemen) halten sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich in Grenzen und betragen – auf die Monatsmiete umgelegt – lediglich wenige Cent pro Quadratmeter. Vor allem im Interesse der Mieter, die ja nicht nur für die Errichtung, sondern auch für Wartung und Betrieb aufkommen müssen, fordert Ploß die Optimierung der Lebenszykluskosten.

Dem stimmte Jürgen Loacker (Technischer Leiter Neubau der gemeinnützigen Wohnbauselbsthilfe) zu und identifizierte damit auch gleich den wesentlichen Unterschied zu privaten Bauträgern, die ihre Wohnungen oft als Renditeobjekte verkaufen und über die Errichtungskosten am Markt bestehen müssten.

„Die Flexibilisierung von Kostendeckeln oder besser der Umstieg auf eine Lebenszyklusbetrachtung bei der Wohnbauförderung würde uns gemeinnützigen Bauträgern mehr Spielraum in der Umsetzung nachhaltigen Wohnbaus bieten“, ist Jürgen Loacker überzeugt.

Im Gegensatz dazu müssten die gemeinnützigen Wohnbauträger langfristig günstige Mieten und Betriebskosten sicherstellen. Dabei haderten die gemeinnützigen Bauträger teilweise mit den fixen Deckeln bei den Errichtungskosten, die zum Optimieren der Errichtungskosten, nicht aber der Lebenszykluskosten verleiten würden. Dabei liegt laut Loacker das Streben nach hohen Energiestandards insofern im Interesse der gemeinnützigen Bauträger, weil dadurch beispielsweise Schimmelprobleme so gut wie ausgeschlossen seien. Er habe seine erste Zeit im Unternehmen vorwiegend mit Schimmelsanierungen verbracht, meinte Loacker. Offensichtlich dabei war, dass er dieser Zeit nicht nachzutrauern scheint.

An der Schnittstelle zwischen nachhaltigem öffentlichem und dem Wohnbau befindet sich der Wolfurter Bürgermeister Christian Natter. Als Bauherrin verfolgt die Gemeinde einen pragmatischen und einen hehren Ansatz: der erste forciert nachhaltiges Bauen aus Kostengründen, reduzieren doch niedrige Energie- und Erhaltungskosten die permanenten Belastungen und erhöhen die frei verfügbaren Gemeindemittel. Daher sei langfristiges Denken in den kommunalen Entscheidungsprozessen mittlerweile fest verankert. Der zweite Ansatz fördert die Rolle der Gemeinde als Vorbild im nachhaltigen Bauen für Bauträger wie für Bürger gleichermaßen – und verfolgt den Auftrag der öffentlichen Hand, der Öffentlichkeit selbst keinen Schaden zuzufügen, was nur durch nachhaltiges Denken und Handeln möglich sei.

„Wir können in Wolfurt gut rechnen. Daher bauen wir energieeffizient.“ Christian Natter war vor seiner Zeit als Bürgermeister Filialleiter der Bregenzer Sparkasse.

Ein Committment, in dem Dietmar Lenz den Schlüssel zu nachhaltigem Bauen sieht: die Bauherrin müsse sich, wie die Planer und Handwerker, zur Gänze auf die Herausforderung in der Umsetzung qualitativ hochwertiger, nachhaltiger Gebäude einlassen. Die Verbindung klarer Zielsetzungen mit hoher Qualität in Planung und Ausführung würde zum Erfolg führen – sofern die Qualität auch gesichert würde, weshalb die Qualitätssicherung während der Umsetzung im Servicepaket „Nachhaltig:Bauen in der Gemeinde“ wesentlicher und von den Gemeinden sehr geschätzter Bestandteil sei. Diese betreffe vorwiegend die Handwerker, würde aber auch aktiv von jenen eingefordert. Die Qualität in der Ausführung sei durchwegs sehr hoch, insbesondere bei Unternehmen, die nicht zum ersten Mal auf einer begleiteten Baustelle arbeiten würden. Auch wenn es für Handwerker nicht immer einfach sei, gewohnte Produkte und Materialien durch höheren bauökologischen Anforderungen entsprechende Alternativen zu ersetzen. Eine professionelle Unterstützung der Handwerker durch das Servicepaket würde aber in so gut wie allen Fällen Lösungen zur gegenseitigen Zufriedenheit bewirken.

Dass die hohe ökologische und energetische Qualität im kommunalen Bauen auf den Wohnbau abfärben könne und müsse, wurde an diesem Abend der Energie Lounge nicht bezweifelt. Basis dafür seien derzeit Engagement und Freiwilligkeit. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinken, so Martin Ploß, den Möglichkeiten und dem Stand der Technik nämlich mindestens vierzig Jahre hinterher.

Zeit für einen Blick auf den Kornmarktplatz blieb kaum, dennoch bot das vorarlberg museum auch beim dritten Abend der Energie Lounge 2016 einen feinen Rahmen.

Bilder auf dieser Seite: Darko Todorovic.

Die Vorträge und die Diskussion gibt es in voller Länge zum Nachschauen auf dem You Tube-Kanal vom vorarlberg museum: