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Bausysteme | Urban Mining - die Stadt als Rohstofflager?

50% der Ressourcen und des Energieverbrauchs, 30% des Wassers und 30% des Abfalls sind in der EU dem Errichten, Betreiben und Abbrechen von Gebäuden geschuldet. Über den Status quo und die Potentiale im Umgang mit Rohstoffen am und vom Bau diskutierten Roland Starke vom Lebensministerium, Anke Bockreis von der Uni Innsbruck, Marco Tittler von der Wirtschaftskammer und Harald Professner von Rhomberg Bau.

50% der Ressourcen und des Energieverbrauchs, 30% des Wassers und 30% des Abfalls sind in der EU dem Errichten, Betreiben und Abbrechen von Gebäuden geschuldet. Über den Status quo und die Potentiale im Umgang mit Rohstoffen am und vom Bau diskutierten Roland Starke vom Lebensministerium, Anke Bockreis von der Uni Innsbruck, Marco Tittler von der Wirtschaftskammer und Harald Professner von Rhomberg Bau.

In Österreich gibt es seit heuer eine Recycling-Baustoffverordnung. Sie soll dabei helfen, Rohstoffe aus dem Rückbau von Infrastruktur sicher und wirtschaftlich für die Wiederverwertung aufzubereiten. Grundvoraussetzung dafür sei ein sorgfältiger Rückbau, der die möglichst einfache und hochwertige Aufbereitung der gewonnenen Materialien sicherstelle. Doch selbst dann sei der Kuchen noch nicht gegessen, denn angesichts günstiger Preise für viele Primärrohstoffe wie beispielsweise Schotter oder Zuschlagsstoffe für die Betonherstellung würden sich aufbereitete Materialien auf dem Markt nur schwer behaupten.

Vor diesem Hintergrund fordert Roland Starke dazu auf, zumindest öffentlichen Bauherrschaften eine Quote für den Einsatz von Recyclingmaterialien aufzuerlegen, wie es in manchen europäischen Ländern schon der Fall sei. Stiefkind im Kreislaufdenken ist derzeit noch dessen Königsdisziplin selbst: das Wiederverwenden eigentlich noch intakter Bauteile – Re-use statt Recycling also. Denn während letzteres vor allem „Downcycling“ bedeute, würden beim Wiederverwenden Bauteile eine zumindest gleichwertige Funktion erfüllen. Insbesondere bei Gewerbegebäuden ortet Starke Potential, da deren Funktionszyklen nicht selten kürzer seien, als die Lebensdauer der einzelnen Bauteile. Potentiale, die derzeit in einem österreichischen Pilotprojekt ausgelotet würden.

Dass dabei Ressourceneffizienz und Umweltschutz nicht gleichzusetzen sind, erstaunt manchen der vierzig Besucher der letzten Energie Lounge 2016. „Führt man Materialien im Kreislauf, kann es passieren, dass sich Schadstoffe anreichern“, erklärt Starke. Die Verordnung soll dies verhindern und dazu führen, dass Materialien, die dazu geeignet sind, möglichst hochwertig und oft recycliert werden. Schadstoffhaltige Materialien hingegen gehören laut Starke ordentlich deponiert und damit quasi aus dem Verkehr gezogen. „Tickende Zeitbomben“ im Bestand, wie sie beispielsweise asbesthaltige Materialien darstellen, sieht Starke dabei aber keine mehr.

„In weiten Teilen Österreichs bedeutet Abbruch: es kommt der Bagger und reißt alles zusammen. Selektiver Abbruch, der die Verwertung der Materialen erleichtert und manchmal erst ermöglicht, ist oft noch ein Fremdwort.“ Roland Starke wünscht sich die Vorarlberger Qualität beim Rückbau für ganz Österreich.

Anke Bockreis von der Universität Innsbruck brachte zur Energie Lounge einen großen Materialrucksack mit: 400 Tonnen verbaute Materialien trug sie im Gepäck – wie freilich alle anderen Besucherinnen und Besucher auch. Soviel Material ist pro Person in Österreich in Infrastruktur verbaut. Das Rohstofflager und damit die Urbane Mine ist also gut gefüllt. Und wird weiter aufgefüllt: rund acht Tonnen pro Person und Jahr kommen dazu, deutlich mehr, als durch fachgerechten Rückbau entnommen wird. Da sich das aber irgendwann einmal ändern wird und um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, plädiert Bockreis dafür, sorgfältiger darauf zu achten, was ins „Rohstofflager“ hineinkommt. Und ortet dabei ein Sorgenkind: komplexe Baustoffe und darunter insbesondere Wärmedämmverbundsysteme. Nicht ohne eine Lanze für das gute Dämmen von Gebäuden zu brechen, schlägt sie jedoch den Einsatz anderer, einfacher rückzubauender Systeme vor. Schrauben sei besser als kleben, präzisiert sie ihre Forderung. Ein Ansatz, der bis zur letzten großen Überarbeitung derselben auch in der Vorarlberger Wohnbauförderung als Bonus abgebildet war und zwischenzeitlich wieder verschwunden ist.

Während heute grundsätzlich sorgfältiger darauf geachtet werde, was final auf der Deponie lande, wurden die Deponien bis in die 90er-Jahre eher sorglos beschickt. Das „Landfill Mining“ berge deshalb nicht unbeträchtliches Potential, Rohstoffe zu gewinnen. Probeschürfungen in Berliner Deponien, die zwischen den 70er- und 90er-Jahren angefüllt wurden, hätten rund ein Viertel verwertbares Material zutage gefördert. Das in Österreich gelagerte Deponievolumen birgt geschätzte 160 Millionen Tonnen Material, davon rund 3,3 Millionen Tonnen Metall, was einem Drittel des österreichischen Jahresbedarfs entspreche.

„Ob jetzt alle Deponiebesitzer euphorisch ihre Deponien umgraben, hängt vor allem von der Entwicklung der Rohstoffpreise ab.“ Anke Bockreis über die Tatsache, dass in österreichischen Deponien rund 3,3 Millionen Tonnen verwertbares Metall lagern.

Angesichts steigender Rohstoffpreise und der Verknappung von Ressourcen in vielen Bereichen würden Sekundärrohstoffe an Bedeutung gewinnen. Um diese effizient bereitstellen zu können, müsse laut Bockreis nicht nur der Rückbau sorgfältig und selektiv erfolgen, sondern bereits beim Einsatz von Materialen über deren Rückbau und Wiederverwertung nachgedacht werden.

Eine Forderung, die von Harald Professner unterschrieben wird. Er leitet den Bereich „Geschäftsentwicklung und Innovation“ bei der Rhomberg-Tochter Cree, die mit dem „Lifecycle Tower“ (LCT) einen Leuchtturm im nachhaltigen Bauen errichtet hat. Das mehrgeschoßige Gebäude zeichnet sich nicht nur durch dein Einsatz von Holz als konstruktivem Baustoff aus, sondern durch das konsequente Hinterfragen jeglichen Materiaeinsatzes aus – und zwar von Beginn der Konzeption und der Planung bis zur Umsetzung. Dabei setzt Cree vor allem auf vorgefertigte Module, die auf der Baustelle rasch zusammengesetzt werden können. Durch das Vorfertigen beispielsweise der Geschoßdecken aus Beton konnte deren Stärke gegenüber vor Ort betonierten Decken bei gleicher Tragfähigkeit um die Hälfte reduziert und dadurch relevant Material eingespart werden.

„Weil Recycling meist Downcycling ist, müssen wir von Anfang an über die generelle Notwendigkeit des Materialeinsatzes genauso nachdenken, wie über die Möglichkeit, diese möglichst wiederverwendbar zu verbauen.“ Harald Professner sieht ressourcenschonendes Bauen als integrative Aufgabe im Gesamtprozess.

Professner sieht die Planer in einer Schlüsselrolle und fordert eine höhere Priorität auf die Materialeffizienz bereits in der Planungsphase ein. Der modulare Aufbau des LCT ist so gestaltet, dass im Bedarfsfall Geschoße zu- aber auch rückgebaut und an anderer Stelle eingesetzt werden können. Damit wäre eine Wiederverwendung anstelle eines Rückbaus mit dem damit verbundenen Downcycling möglich. Ein Weg, den Cree weiter konsequent beschreiten möchte, sieht Professner doch eine Gefahr im „Overengineering“ von Gebäuden anstelle grundsätzlicher Überlegungen, „wie Gebäude gescheit gebaut werden“. Dabei sei es durchaus eine Herausforderung, zu antizipieren, welchen Bedarfsänderungen während einer Gebäudelebenszeit zu begegnen sei. Auch das spreche für modulares und damit leichter adaptierbares Bauen.

Dass sich die Bauwirtschaft der Herausforderung, mit modularen Konzepten die Wiederverwertung von Bauteilen zu stärken, erfolgreich stellen wird, davon ist Marco Tittler, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Vorarlberg, überzeugt. Steigende Ressourcenkosten werden seiner Ansicht nach in Zukunft verstärkt dazu motivieren, aufbereitete Materialien zu verwenden und den Materialeinsatz generell kritisch zu überdenken – auch wenn das aufgrund der noch zahlreich und kostengünstig verfügbaren Materialien nicht so drängt, wie beispielsweise in der Elektronikindustrie.

„Trennen und Recyceln sind im Vorarlberger gedanklich fest verankert. Die Bauwirtschaft wird daher die damit verbundenen Herausforderungen meistern.“ Marco Tittler identifiziert den sorgsamen Umgang mit Ressourcen als Vorarlberger Kulturkonstante.

Das war die vierte und damit letzte Veranstaltung im Rahmen der Energie Lounge 2016. Die Nachlese zu den vorhergegangenen Veranstaltungen finden Sie hier.

Alle Bilder auf dieser Seite: Darko Todorovic.

Die Vorträge und die Diskussion gibt es in voller Länge zum Nachschauen auf dem You Tube-Kanal vom vorarlberg museum.