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Quartier | Bauen und Wohnen in Gemeinschaft

Wege zum Bauen und Wohnen in der Gemeinschaft – und immer wieder die Grundstückspreise. Darüber sprachen und diskutierten am zweiten Abend der Energie Lounge 2016 Architekt Wolfgang Juen, Forscher Paul Stampfl, Bürgermeister Kurt Fischer und Raumplanerin Geli Salzmann.

Wege zum Bauen und Wohnen in der Gemeinschaft - und immer wieder die Grundstückspreise. Darüber sprachen und diskutierten am zweiten Abend der Energie Lounge 2016 Architekt Wolfgang Juen, Forscher Paul Stampfl, Bürgermeister Kurt Fischer und Raumplanerin Geli Salzmann.

Seine Siedlungen wie Mühleweg in Höchst oder das Fußacher Nachgärtle sind Ikonen des modernen gemeinschaftlichen Bauens in Vorarlberg, das Architekt Wolfgang Juen über Jahre mitgeprägt hat – wenngleich dessen Hochkultur, über die sich als große Wintergärten ausgeführte dem gemeinsamen Wohnen Raum gebende Erschließungszonen spannen, ein kometenhaftes Schicksal am Vorarlberger Bauhimmel erleiden und laut Juen mit der Jahrtausendwende verglühen musste. Seine Bauleute von damals würden sich das heute nicht mehr leisten können, beklagt der zivilgesellschaftlich engagierte Juen in seiner Brandrede für eine gesellschaftliche Übereinkunft zur Nachhaltigkeit im Rahmen der zweiten Energie Lounge 2016, zu der das Energieinstitut Vorarlberg und das Vorarlberger Architektur Institut ins vorarlberg museum nach Bregenz geladen hatten.

„Allen Projekten gleich ist eine gemeinsame Utopie, eine gemeinsam anzustrebende Vision der Beteiligten.“ Architekt Wolfgang Juen über „seine“ Baugemeinschaften der 80er und 90er.

Dort erzählte Juen nicht nur von den ökologischen Vorzügen gemeinsamen Wohnens, sondern von ganz pragmatischen Ansätzen: von Reduktion, von Synergien und von Adaptionsmöglichkeiten seiner Objekte. Und freute sich darüber, dass die Gelegenheit zu deren Umsetzung bestand und sich engagierte und in die Zukunft denkende Bauleute fanden. Um dann auch gleich zum Kern des derzeitigen Problems zu kommen: einem versagenden Grundstücksmarkt und überbordenden Bauvorschriften. Die damals eingebrachte Eigenleistung wäre heute aufgrund von Normen kaum mehr möglich und zu den für gemeinsames Bauen erforderlichen Grundstücksgrößen käme man in Konkurrenz zu den Bauträgern sowieso nicht mehr. Ein Umstand, vor dessen Hintergrund Juen über einen Baustopp nachzudenken anregte. „Sollten wir nicht einmal innehalten und schauen, was wir eigentlich schon (gebaut) haben? Was mit dem Bestand möglich wäre?“ fragte sich Juen, nicht ohne festzuhalten, dass „die Bauwirtschaft natürlich bauen will, wie ein Chirurg schneiden.“ Dabei müsse man eigentlich zuerst darüber nachdenken, welche Aspekte von Nachhaltigkeit die Gesellschaft anstreben wolle, bevor man über Details wie das Bauen spreche.

Ein Ansatz, den Paul Stampfl, einer der Mitbegründer des jungen Vereins „nenaV – Neue Nachbarschaften in Vorarlberg“, in seinem Vortrag vertiefte. Von derzeit knapp unter 50.000 auf über 80.000 würde bis ins Jahr 2050 die Zahl an Einpersonenhaushalten in Vorarlberg steigen, 35.000 Wohnungen würden gebraucht, für die immerhin rund 4.000 Hektar gewidmetes, aber unbebautes Bauland (theoretisch) zur Verfügung stünden. Die herrschenden Rahmenbedingungen, die Stampfl weit über nicht verfüg- oder leistbares Bauland hinaus bis zur Frage der Nahrungsmittelautonomie oder sozialer Resilienz zog, würden neue Formen des Bauens und Wohnens und damit „neue Nachbarschaften“ erfordern.

„Wir haben das Wissen und die Möglichkeiten, unsere Gesellschaft neu zu denken.“ Paul Stampfl blickt optimistisch in die Zukunft der Vorarlberger Siedlungs- und Quartiersentwicklung.

Sich orientierend an den Leuchttürmen des neuen gemeinschaftlichen Wohnens, wie sie vor allem Schweizer Projekte à la Kalkbreite versinnbildlichen, entwickelte Stampfl ein Bild jenes künftigen gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens – mit einer größeren Skalierung und Konsequenz als die Projekte aus den Neunzigerjahren. 200 Wohneinheiten in kompakter, urbaner Bauweise stellen in der Vision von „nenaV“ die erforderliche Grundlage und Größenordnung für ein neues Miteinander dar: genossenschaftlicher Wohnbau, flexible Flächen und Raumaufteilungen, bedarfsgerechte und variable Wohnflächen, attraktive Frei- und Rückzugsräume. Das Bild einer gemeinsamen Küche mit eigenem Koch, der die frischen Produkte von der Vertragslandwirtschaft zu einem feinen Menü zusammen zaubert, während man im Wellnessbereich oder der Bibliothek entspannt, manifestierte sich vor dem inneren Auge des Publikums, und wer das für Utopie hält, soll sich einmal in die Kalkbreite wagen (siehe Link auf der rechten Seite). Um das Fundament einer jedenfalls denkbaren Umsetzung in Vorarlberg zu legen, wurde vor kurzem in Wolfurt der Verein „nenaV“ gegründet, der in einem ersten Schritt einmal für dieses Bild zukunftsfähigen Siedelns trommeln möchte, um sich dann in einem nächsten Schritt auf die Suche nach möglichem Baugrund zu machen.

Der Idee, dafür Gemeindegrund zur Verfügung zu stellen, entzog sich der Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer in der anschließenden Diskussion am Podium übrigens nicht. Über jenen verfügt die Gemeinde Lustenau als eine jener Kommunen in Vorarlberg, die schon seit längerer Zeit eine aktive Bodenpolitik betreiben, nämlich schon. Wobei man sich nicht der Illusion hingeben dürfe, dass das hinreiche, den Markt zu beeinflussen. Denn neuen Grund zu erwerben, sei heutzutage auch für die Gemeinden schwer, die von Verkäufen oft nichts mehr mitbekämen.

„Grund und Boden sind schlicht ausverkauft. SOLD OUT.“ Lustenaus Bürgermeister Kurt Fischer tut sich schwer, als Gemeinde aktive Bodenpolitik zu betreiben.

Ohne selbst eine entsprechende Notwendigkeit abzustreiten, kann sich Fischer die Einführung entsprechender Marktregulative dennoch kaum vorstellen: „Die Lust der Politik, ins Eigentum einzugreifen, ist sehr begrenzt.“ Umso stärker sei es Aufgabe der Gemeinden, die in kommunalem Besitz befindlichen Baugründe zukunftsfähig und gesellschaftlich wertvoll zu entwickeln – und da seien Denkmodelle wie die „neuen Nachbarschaften“ durchaus ein Ansatz.

Und Anreize zur in allen Dimensionen nachhaltigen Entwicklung von Wohnräumen brauche es, so Geli Salzmann, Architektin und Mitglied im Raumplanungsbeirat des Landes – würde doch abgesehen vom gemeinnützigen Wohnbau die Wohnbauförderung des Landes als Lenkungsinstrument nicht mehr im erforderlichen Ausmaß greifen – gegenüberfrüher 80% würden nur noch zwischen 30 und 40% der Neubauten Wohnbauförderung in Anspruch nehmen.

„Bauland wird in naher Zukunft nicht verfügbar sein. Wir brauchen den Bestand.“ Raumplanerin Geli Salzmann fordert die Nachverdichtung und die Mobilisierung von Leerstand.

Der Schlüssel zum künftigen Wohnraum läge aber ohnehin im Bestand. Die Instrumente, den besser zu nutzen, wären bekannt und heißen unter anderem Nachverdichtung und Leerstandsaktivierung. Beiden gegenüber ist Geduld eine Tugend. Denn wir wissen, was zu tun wäre, „ticken aber auch, wie wir ticken“. Vom Reden ins Tun kommen, müsse man halt.

Bilder auf dieser Seite: (c) Darko Todorovic