Bitte um Rückruf

Energie Lounge 2018 - Das Denkbare machen

Wie gelingt Gemeinschaft? Und warum sie Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung von Quartieren? Warum hat Vorarlberg seine Exzellenz in der zukunftsfähigen Gestaltung von Quartieren verloren? Darüber diskutierten am zweiten Abend der Energie Lounge 2018 Architekt Roland Gnaiger, Sozialwissenschaftler Martin Schweighofer, Raumplanerin Sabina Danczul und Architektin Julia Kick.

Wie gelingt Gemeinschaft? Und warum ist sie Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung von Quartieren? Warum hat Vorarlberg seine Exzellenz in der zukunftsfähigen Gestaltung von Quartieren verloren? Darüber diskutierten am zweiten Abend der Energie Lounge 2018 Architekt Roland Gnaiger, Sozialwissenschaftler Martin Schweighofer, Raumplanerin Sabina Danczul und Architektin Julia Kick.

Es tritt Roland Gnaiger mit dem Auftrag ans Pult, gemeinsam mit dem ausnahmsweise im Feldkircher Montforthaus aber nach den vergangenen Energie Lounges im Voralberg Museum durchaus erwartbar zahlreich und gebannt erschienenen Publikum einen Rück- und einen Ausblick darauf zu richten, wie nachhaltige Quartiere in Vorarlberg gelingen konnten und können.

Dabei schaut Gnaiger zu Beginn in die 70er- und 80er-Jahre, in denen ikonische und dem architektonisch halbwegs bewanderten Einheimischen geläufige Beispiele gemeinschaftlichen Bauens und Siedelns entstanden sind. Getrieben und gestaltet von einem Dutzend Architekten unterschiedlicher österreichischer Schulen, die in Vorarlberg nicht nur ihre Schaffenskraft zu verorten sondern auch hochmotiviert ihre persönlichen Wohnbedürfnisse zu befriedigen suchten. Und dafür geeignete und heute nicht mehr vorhandene Möglichkeiten vorfanden: ein intellektuelles, kostenbewusstes und zu handwerklicher Eigenleistung bereites Substrat aus Architekten, Designern, Lehrern und die Möglichkeiten, über den Zeitraum der Findung und Planung kostenlose Optionen auf Baugrundstücke zu lösen. So konnten sich ohne finanzielle Verbindlichkeiten Baugruppen suchen, finden, verändern und schlussendlich mit einer gemeinsamen Vorstellung konstituieren, ehe der Grund gekauft und der Grundstein für die Siedlung gelegt wurde.

"Wenn man die Fieberkurve der Preisentwicklung am Grundstücksmarkt der letzten paar Jahre anschaut, dann war das in den 80ern im Vergleich der reinste Kindergeburtstag.“
Roland Gnaiger über einen Hauptgrund für das gegenwärtige Ausbleiben gemeinschaftlichen Bauens.


Freilich waren diese Siedlungen fast kolchosenartig, Kinderbetreuung, Kochen, Freizeit stark gemeinschaftlich ausgeprägt, was Gnaiger sozial und ökonomisch faszinierte, das Gros der Vorarlberger Bevölkerung aber eher weniger. Weshalb diese innovativen Ansätze gemeinschaftlichen Bauens auch solche blieben: Ansätze nämlich.

"Vom kollektiven Geschirrspülen bis zum Partnertausch: Da konnten nicht viele mit."
Roland Gnaiger überspitzt einen weiteren Grund für das vorläufige Ende des gemeinschaftlichen Bauens in den 90ern.

Aber nicht nur die reduzierte Privatheit und der Überfokus auf das Gemeinschaftliche ohne individuelle Freiräume setzte deren Entwicklung Grenzen. Gnaiger verweist auf zwei weitere Aspekte.

Deren einer ist mittlerweile zum Klassiker mit weitreichenden Folgen geworden: der Grundstücksmarkt. Die in den 80ern herrschenden Möglichkeiten, in partizipativen, vielschichtigen und dadurch zeitaufwändigen Gestaltungsprozessen Grundstücke zu entwickeln, lagen in kostenlosen oder sehr günstigen Optionen auf Grundstücke über Jahre begründet. Diese würden heute schlicht nicht mehr vorliegen, weshalb die für alle vorstell- und tragbare Ausgestaltung des Projekts vor dem Eingehen großer finanzieller Verpflichtungen nicht mehr möglich wäre.

Darüber hinaus – zweiter Aspekt – konnten Projekte mit Eigenleistung – zu welcher die Baugruppen durchaus und umfassend bereit waren – zu Preisen realisiert werden, die mit jenen mittelgroßer Wohnungen vergleichbar und damit sehr günstig waren.

Das wiederum brachte die Bauträger in Zugzwang, die folgerichtig und laut Gnaiger gleichzeitig folgenschwer reagierten: Sie banden die kreativen Architekten an sich und in die Gestaltung ihrer eigenen Projekte ein.

"Diese Zeit des Bauens war eine heroische und interessante, und sie hat der Vorarlberger Entwicklung viel internationale Aufmerksamkeit beschert. Viel was später passiert ist, wäre ohne diese Erfahrung nicht möglich gewesen."
Roland Gnaiger über die Baugruppen.

Mit dem Engagement der Bauträger habe dann aber eine Verdünnung der architektonischen Qualität stattgefunden, die laut Gnaiger schlussendlich den Vorarlberger Wohnbau gestalterisch im überregionalen Umfeld unter die Wahrnehmungsschwelle habe abrutschen lassen. Die Gebäude würden für sich gebaut und eine Ensemblebildung fände nicht mehr statt. Dabei sei sie es, die die Qualität der Frei- und Zwischenräume zutage fördere. Fehle sie, würden die Räume zwischen Gebäuden zu mehr oder weniger gut gestalteten Abstandsflächen ohne räumliche Qualität und – damit wird es spannend – ohne jene essentiellen Funktionen, die Nachbarschaft, Gesellschaft und Gemeinschaft positiv befördern, quasi degradiert werden.

Diese Entwicklung aber war – so Gnaiger – ökonomisch erfolgreich und damit gut argumentierbar, der Weg zum Schema F war vorgezeichnet. Und bleibt bis auf weiteres zementiert, denn solange das Angebot kleiner sei als die Nachfrage, würden die Bauträger kaum Ambitionen entwickeln, vom für sie Bewährten abzuweichen – warum auch?

Denn weil – oder gerade obwohl – sich die Käufer und Interessenten in einer prekären Lage befänden, vermisst Gnaiger sämtliche Ansprüche und Überlegungen derselben hinsichtlich der Qualität und Funktion ihrer zukünftigen Wohn- und Lebensräume.

"Solange das Angebot kleiner ist als die Nachfrage, werden die Bauträger kaum Ambitionen entwickeln, vom für sie Bewährten abzuweichen."
Roland Gnaiger sieht das Innovationspotential an anderer Stelle.

Und so weckt der Grand Signeur nachhaltigen Bauens in Vorarlberg keine Euphorie, was die naheliegende Zukunft anbelangt. Entwicklung sei allzubald keine zu erwarten, die Rahmenbedingungen würden sich in absehbarer Zeit nicht ändern und die „Szene“ würde sich ihrer Innovations- und Schaffenskraft so schnell nicht besinnen, um aus dem engen Korsett der Ökonomie auszubrechen und den Grundstücksmarkt wieder in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen. Aber wünschen dürfe man, so Gnaiger, und er tut das dann auch und wünscht sich – als ersten Eckpfeiler eines zukünftigen nachhaltigen Bauens – eine größere Vielfalt und eine noch größere Akzeptanz verschiedener Lebens- und Siedlungsmodelle, vielleicht im Anklang an die Baugemeinschaften und mit einem etwas reduzierteren Maß an sozialer Kontrolle und mehr privatem Freiraum und zeigt an einem Beispiel aus Wien, wie das ginge: Gemeinsamer Wellnessbereich, gemeinsame Bibliothek, für alle buchbare Gästeappartements. Der Rest bleibt Privatsache.

Als zweiten Eckpfeiler benennt Gnaiger flexiblere Grundrisse und die bessere Kombinationsmöglichkeit von Wohnungen. Und zwar nicht primär das Verändern von Raumsituationen innerhalb einer Wohnung, sondern das einfache und ohne große Baustelle bewerkstelligbare Zusammenlegen verschiedener Wohnungen zu kleineren oder größeren Einheiten: eine Einheit zum kostengünstigen Start, eine zweite als Ergänzung für den Nachwuchs und dann wieder die Reduktion auf eine Einheit – die zweite kann dann gleich mitsamt dem flüggen Nachwuchs abgetrennt werden.

Der Gestaltung des Freiraums zwischen den Gebäuden käme des Weiteren eine große Bedeutung zu. Er sei Interaktionsraum aller Generationen und konstituiere Nachbarschaft. Der Raum zwischen den Gebäuden müsse – mit aller Möglichkeit, dem Begriff Pathos zu verleihen – Ort werden. Dann finde auch Gemeinschaft statt, wie sie im alleinigen Freiraum nicht stattfinden könne. Siedlung sei – im Gegensatz zum einzelnen Objekt – daher der Mehrwert einer richtigen Disposition der Gebäude, die den Raum dazwischen konstituieren.

"Der Raum zwischen den Gebäuden muss – mit aller Möglichkeit, dem Begriff Pathos zu verleihen – „Ort“ werden. „Siedlung“ ist der Mehrwert einer richtigen Disposition der einzelnen Gebäude."
Roland Gnaiger fordert mehr als die ansprechende Gestaltung von Zwischenräumen.

Dabei müsse mit Fingerspitzengefühl vorgegangen werden. In Wien habe es in den letzten Jahren die Tendenz gegeben, alle Höfe zu öffnen mit dem Ergebnis, dass Fußgängerströme durch halbprivate Bereiche führen, die Nachbarschaft erodieren und den öffentlichen Räumen die Frequenz entziehen würden. Es müsse Räume geben, die private Räume blieben und Schwellen, die man nur vorsichtig überträte.

Und schließlich nennt Gnaiger als vierten Pfeiler die Fähigkeit zur Kooperation. Gerade wir Vorarlberger hätten es nicht gelernt zu kooperieren und so sei jeder seines eigenen Hauses Bauherr geblieben. Um gemeinschaftlichen Mehrwert zu generieren, bräuchten wir jedoch die Kooperation, die wir erst langsam wieder lernen müssten. Gerade die Gemeinden könnten – und so schließt Gnaiger mit einem Wunsch – dazu beitragen, indem sie Initiativgruppen Grundstücke über einen Planungs- und Findungszeitraum unverbindlich und bis zur beschlussreifen Konstitution eines Projekts kostenlos überlassen würden.

Dem Aspekt der Gemeinschaft am gemeinschaftlichen Wohnen geht im zweiten Impulsvortrag Soziologe Martin Schweighofer auf die Spur und verortet die Fähigkeit, zu kooperieren insbesondere in einer individualisierten Gesellschaft als zentrale Herausforderung. Daraus stellt sich die Frage. Wie lernen wir, wieder zu kooperieren?

"Wie kann ich Instrumente entwickeln, mit denen ich auch in schwierigen Situationen auf Augenhöhe und wertschätzend kooperieren kann?"
Martin Schweighofer stellt eine Grundsatzfrage für die Entwicklung von Gemeinschaften.

Den Rahmen der Zusammenarbeit liefern intentionale Gemeinschaften. Sie sind offen, transparent und durchlässig, denn sie basieren nicht auf Zugehörigkeit, „Blut und Boden“, sondern auf dem verhandelbaren, freiwilligen und selbstbestimmten Wunsch der Mitglieder, sich um ein gemeinsames Anliegen zu versammeln, welches die Gemeinschaft konstituiert und vorerst auch stabilisiert. Soweit so einleuchtend, denkt sich der unbedarfte Zuhörer und kann auch nachvollziehen, dass sich daraus gemeinsame Alltagspraktiken entwickeln wie gemeinsames Wohnen, Carsharing, Gemeinschaftsgarten, Nachbarschaftsfest. Sozialer Nahraum eben. Von dem – so Roland Gnaiger in seinem Vortrag – ein bestimmtes Potential zur Überforderung ausgehen kann.

Deshalb ist für Schweighofer auch die Frage nach der erfolgreichen Kooperation jene nach der Fähigkeit, Instrumente zu entwickeln, mit denen sich auch in schwierigen Situationen auf Augenhöhe und wertschätzend begegnet werden kann, Kooperation vor Konkurrenz und die eigene Strategie zurückgestellt wird, schlussendlich nicht neben- sondern miteinander gelebt wird.

"Gemeinschaft ist dort erfolgreich, wo Begegnung auch in schwierigen Situationen auf Augenhöhe und wertschätzend stattfindet, Kooperation vor Konkurrenz und die eigene Strategie zurückgestellt wird."
So einfach ist das laut Martin Schweighofer, wenn es gelingt.

Einen möglichen Ansatz dazu stellt das sogenannte „Ökodorf“ dar, das Schweighofer nicht nur einen längeren Zeitraum beforscht, sondern auch selbst erlebt hat: Ein Jahr lang hat der Bregenzer gemeinsam mit Frau und Kindern als einer von rund 150 Einwohnern im Ökodorf „Schloss Tempelhof“ zwischen Nürnberg und Ulm gewohnt. Es handelt sich dabei um eines der größten Ökodörfer Deutschlands. Gemeinsame Basis seien abstrakte Grundwerte wie beispielsweise das Konzept der Nachhaltigkeit. Religion und Dogmen spielten keine die Gemeinschaft prägende Rolle. Den organisatorischen und finanziellen Rahmen gebe die Rechtsform der Genossenschaft vor, in der alle Bewohner obligatorisch Mitglied seien. 26 Hektar Landwirtschaftsfläche werden gemeinsam bewirtschaftet, es gibt eine eigene Bäckerei, einen Hofladen und eine freie Schule. Ein Seminarhaus, in dem unter anderem Werkzeuge zur Gemeinschaftsbildung gelehrt werden, wird von außerhalb rege in Anspruch genommen.

Das Ökodorf beschreibt Schweighofer ganz nüchtern als eine mögliche Form gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens, die sich auf der Skala eher am Ende der intensiveren Ausprägungen kollektivierter Gemeinschaftsmodelle findet. Sie verfolgt die Idee des Dorfes als eigener Organismus mit all seinen Möglichkeiten, Kreisläufe zu schließen und in dem Ökologie zentrales Ansinnen sein kann, aber nicht muss. Grundlage der Gemeinschaft ist die authentische Begegnung, in deren Rahmen es schwerfalle, über einen langen Zeitraum Masken zu tragen oder Rollen zu spielen. Daher sei es auch zwingend notwendig, fachkundig und mit geeigneten Instrumenten an der Gemeinschaftsbildung zu arbeiten, um ihr schlussendlich eine größere Dauerhaftigkeit zu verleihen, als der Verbreitung gemeinschaftlicher Wohnprojekte im Vorarlberg der Achtziger und Neunziger.

"Grundlage der Gemeinschaft ist die authentische Begegnung, in deren Rahmen es schwerfällt, über einen langen Zeitraum Masken zu tragen und Rollen zu spielen."
Martin Schweighofer begründet die Notwendigkeit, mit geeigneten Instrumenten an der Gemeinschaftsbildung zu arbeiten.

Die Entwicklung und Schärfung dieser Instrumente wird in einem experimentellen Wohnfeld, dem „Tempelfeld“ auf die Spitze getrieben: Um ein „Earthship“ – ein in den USA entwickeltes und auf Autarkie ausgelegtes Gebäudekonzept – genanntes Gemeinschaftshaus gruppieren sich mehr oder weniger experimentelle Wohneinheiten. Die Infrastruktur ist zentral im Gemeinschaftshaus untergebracht: Küche, Wohnzimmer, Naßräume. Die Wohneinheiten dienen als zwischen 15 und 25 Quadratmeter große Rückzugsräume und beinhalten keine weitere Infrastruktur. Das Experiment besteht darin, die Möglichkeiten und Grenzen gemeinschaftlichen Wohnens auszuloten und zu verstehen, welche Chancen und Herausforderung es in sich birgt.

Dabei offenbare sich eine zentrale Stärke kleiner Gemeinschaften. Denn in Transformationsprozessen würden derzeit laut Schweighofer vor allem zwei Ebenen bemüht und teils gegeneinander ausgespielt: Auf der individuellen Ebene solle jeder bewusster leben, handeln, konsumieren und scheitere dabei an seinen eigenen Grenzen und möglicherweise gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die gesamtgesellschaftliche Ebene hingegen sei eine hochkomplexe, träge und oft widersprüchliche. Die Gemeinschaft könne hier als Mesoebene quasi in die Bresche springen: Überschaubar, mit direkten Beziehungen zwischen den Mitgliedern, mache sie das Handeln und dessen Wirkungen unmittelbar spür- und erlebbar. Am Beispiel der in Schloss Tempelhof bewirtschafteten Landwirtschaftsfläche zeige sich, dass eine maschinelle Bewirtschaftung mit viel Verkehr, eine manuelle mit viel Kraft, Zeit und damit Geld verbunden sei. Egal, für welches Handeln sich die Gemeinschaft entscheide, die unmittelbaren Konsequenzen würden nicht in „irgendeinem System verschwinden“.

Dabei sei die Gemeinschaft nicht nur ein Gefäß, in dem sich Dinge machen ließen, die alleine nicht zu schaffen wären. Sie habe auch einen Wert an sich: nämlich dem Wunsch zu entsprechen, mit anderen in Verbundenheit zu leben und Dinge gemeinsam zu tun – Geselligkeit am Ende des Tages.

Das erfordere eine neue Art von Beziehung, nämlich Verbundenheit statt institutionalisierter Marktbeziehung. Die würde durchaus als Abhängigkeit empfunden, vor allem wenn in Suffizienzstrategien kein Backup mehr vorhanden wäre: es also nur eine gemeinsame Küche gebe – und nicht noch eine eigene für den „Notfall“. Dies könne nur dann gutgehen, wenn die Beziehungen funktionieren und an den Konflikten rechtzeitig gearbeitet würde.

"Die Entwicklung einer Gemeinschaft erfordert Verbundenheit statt institutionalisierter Marktbeziehung."
Martin Schweighofer über Chance und Herausforderung zugleich.

Mit den richtigen Werkzeugen und in einem Prozess, für den es noch keine Referenzmodelle gäbe. Mit neuen Praktiken, Kommunikationsformaten, gemeinschaftlich ausgerichteten Entscheidungsformaten und schlussendlich der Neuorganisation gesellschaftlicher Funktionen.

Daran würden viele Projekte scheitern. Noch. Denn an vielen Orten würden Zugänge entwickelt, die uns helfen, diese neuen Gemeinschaften zu Gefäßen für nachhaltige Wohn- und Lebensformen werden zu lassen.

Essentiell dabei ist für Schweighofer das Commitment zur Kooperation, das auch dann gehalten werde, wenn es schwer wird. Dieses zu formen bedürfe gleich vieler Ressourcen, wie die Planung und Gestaltung von Raum und Gebäude. Und beide – die Gemeinschaft und das Projekt – wären miteinander verwoben, denn würde beispielsweise über die Gestaltung einer Fassade diskutiert, könnte in einem guten Prozess erkannt werden, dass es um etwas geht, das nicht auf der technischen oder gestalterischen, sondern auf der sozialen Ebene gelöst gehört.

Mit dieser Idee kann sich Roland Gnaiger in der folgenden Diskussion nicht wirklich anfreunden und findet deutliche Worte dafür. Denn genau das wäre vielen zu viel. Die meisten wollten einfach nur wohnen, nicht ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellen. Man dürfe das Wohnen nicht in „diese Ecke schieben“, denn sonst werde die Pflege der Gemeinschaft zur Religion und degeneriere zum Selbstzweck. Gerade weil viele Menschen in Wohnanlagen überhaupt ohne Berührungspunkte leben würden, wäre ein vorsichtiger Übergang mit einem Mehr an Gemeinsamkeit und sozialer Durchmischung notwendig, aber keine Zwangsgemeinschaft.

Im Verlauf der Diskussion wird sich Gnaiger in diesem Punkt etwas versöhnlicher zeigen und nicht den Zugang grundsätzlich in Frage stellen, sondern die Möglichkeiten des Wohnraumes, für den die vielfältigen Anforderungen möglicherweise zur Überforderung würden.

"Wie kann die Beteiligung der Bevölkerung ein wirksames, ehrlich eingesetztes Instrument werden und nicht nur pro forma erfolgen?"
fragt sich Architektin Julia Kick.

Keine Über- sondern Unterforderung ortet die Architektin Julia Kick, nachdem Energie Lounge-Gastgeber Harald Gmeiner das Thema von der Gemeinschaft wieder aufs Baugeschehen lenkt, und zwar der Bevölkerung, wenn es um das Einbeziehen in die räumliche Entwicklung von Quartieren und Gemeinden geht. Denn wie die Beteiligung der Bevölkerung ein wirksames Instrument werden kann, ist für sie noch an zu wenigen Stellen sichtbar geworden. Zu oft würden Planungsprozesse mit immer gleichen Akteuren hinter verschlossenen Türen abgehalten und die Bürger allenfalls als Feigenblatt eingebunden.

Sabina Danczul, Leiterin der Raumplanung im Amt der Vorarlberger Landesregierung, sieht im neuen Raumbild des Landes und in den verpflichtenden Raumentwicklungsplänen für Gemeinden hingegen wohl eine wesentliche Möglichkeit, die Qualität des Raumes und die Nachhaltigkeit in dessen Nutzung zu steigern. Sicherstellen soll dies eine Kombination aus rechtlichen Rahmenbedingungen, Begleitangeboten und Förderinstrumenten.

"Das Raumplanungsgesetz in dieser Form wäre vor fünf Jahren noch nicht denkbar gewesen."
Raumplanerin Sabina Danczul konstatiert dem gegenwärtigen raumplanerischen Diskurs eine gewisse Dynamik.

Die Fragen, denen sich das Land nun verstärkt widme, seien umsetzungsorientierte: Wer wendet die Instrumente an? Wer kann das? Und wer unterstützt diejenigen, die sie anwenden? Die Lösungsansätze dafür reichen weit, von Coaches für die Gemeinden bis zur Verpflichtung, Betroffene an einen Tisch zu setzen und relevante Projekte zu besprechen, beispielsweise die Implementierung von Wohnanlagen in einen typischen Einfamilienhausbestand oder Betriebsansiedelungen in der Landesgrünzone. Ideen, die angesichts der dynamischen Entwicklung des Diskurses keineswegs Utopien sind. Und die Dynamik hat auch in die Gesetzgebung Einzug gehalten, denn auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum wehrt Danzcul den Vorwurf, es würde in Bezug auf die Verfügbarkeit von Flächen lediglich den Status quo zementieren, zurück und hält entschieden fest, dass das Raumplanungsgesetz in der vorliegenden Form vor fünf Jahren noch nicht denkbar gewesen wäre.

Die Dynamik im Diskurs aufrecht zu erhalten und in der Folge konkrete Taten werden zu lassen, wird Herausforderung und Notwendigkeit gleichermaßen sein. Auch um jene Exzellenz in der Gestaltung des Verbundes aus Gemeinschaft, Räumen und Gebäuden wieder zu erlangen, die Vorarlberg laut Roland Gnaiger bis in die Neunzigerjahre inne hatte.

Für die Fans taktiler Erlebnisse gibt es die Nachlesen zu den Energie Lounges auch in gedruckter Form, und zwar kostenlos in unserem Broschürenshop.

Bildnachweis (alle Bilder dieser Seite): Darko Todorovic.


Diese Veranstaltung wird im Zuge von GreenSan durchgeführt. GreenSan ist ein Projekt von Energieinstitut Vorarlberg, Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!), Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA), Energieagentur Ravensburg, Energieagentur St. Gallen und der baubook gmbh. Es wird gefördert von der Europäischen Union im Rahmen von Interreg A-B-H.