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Energie Lounge 2018 - Das Notwendige denken

„Öko sind wir erst, wenn wir alle tot sind“ stand an der Wand zu lesen, als Harald Welzer am ersten Abend der Energie Lounge 2018 einem aufgeräumten Publikum erklärte, warum wir eine neue Ökobewegung brauchen. Später diskutierte er gemeinsam mit dem Vorstand der Jungen Wirtschaft Vorarlberg Alexander Abbrederis, Naturschutzanwältin Katharina Lins und Partizipationsexpertin Kriemhild Büchel-Kapeller über das Notwendige, das zu denken wäre.

Irgendwie erklärt es sich von selbst, warum wir eine neue Ökobewegung brauchen, nicht? Wir waren unterschiedlich lange Zeugen der Gründung und Belebung eine Ökobewegung, die mit der Erklärung des Club of Rome in den frühen Siebzigerjahren so richtig ihren Anfang fand. Und die schließlich in eine globale Klimaschutzpolitik mündete – nein, so der Soziologe und Gast der ersten Energie Lounge 2018 Harald Welzer, nicht in eine Klimaschutzpolitik, sondern eine Politik zum Thema Klimaschutz.

Und während wir seit 40 Jahren erzählen, es wäre fünf vor zwölf, stellt der von der Kommunikation engagierter Institutionen Erreichte unschuldig fest, dass es jetzt aber schon eine Zeit lang fünf vor zwölf sei und sich ja nicht eben Grandioses getan habe. Und mit diesem Einwand würde die Politik besonders hadern, meint Welzer. Denn wie reagiere man, wenn das Ziel nicht erreicht, die Zeit nicht eingehalten würde? Was erzähle man, wenn die kommunikativen Mixturen, die zu Zeiten der Ölkrise oder des Waldsterbens Betroffenheit und Erfolg mit sich brachten, heute nicht mehr funktionierten? Wenn die Adressaten auf Katastrophenankündigungen reagierten mit „Wir haben ein Klimaproblem? Kein Thema, dann kaufen wir den Porsche Cayenne halt als Hybrid“?

"Was bitte ist am Konzept der Genügsamkeit für 18-Jährige attraktiv?" Harald Welzer fordert Alternativen bei Nachhaltigkeitsthemen.

Denn schon ist das Problem eingepreist in ein Konsumgut und das Gewissen beruhigt, der Status quo ein Stück weiter einzementiert. Wer redet da von Genügsamkeit? Oder gar von Suffizienz? Welzer schnaubt: „Bei Suffizienz denkt meine Mutter an Alkoholismus.“ Und außerdem: Was bitte sei am Konzept der Genügsamkeit für 18-Jährige attraktiv, deren Lebensentwurf nichts Anderes vorsehe, als Eskapismus und Freiheit? Und überhaupt wage er die Theorie, dass wir, also die Ökobewegung, zu wenige attraktive Alternativen im Angebot hätten und die Themen oft zu wenig und nicht unmittelbar lebensrelevant wären.

„Bei Suffizienz denkt meine Mutter an Alkoholismus.“ Harald Welzer fordert mehr Zugänglichkeit in der Nachhaltigkeitskommunikation.

Und Welzer erzählt eine Geschichte aus der Bildzeitung. Die 15-Jährige Zoe erfüllt sich „ihren Traum von einer Kreuzfahrt“, der jäh getrübt wird, als die über Satellit Whatsapp- und Snapchat-Nachrichten Verschickende von einer horrenden Handyrechnung schockiert wird. Natürlich hilft die Bildzeitung aus der Patsche, aber die Frage sei eine andere: Wie sei es bitte möglich, dass sich eine 15-Jährige für eine Reiseform begeistere, die sich vor 20 Jahren nur englische Omas angetan hätten? Wie schafften „die“ kommunikativ, was „wir“ nicht schaffen? Weil „sich tolle Sachen bestellen können“ eben eine bessere Geschichte sei, als „Wenn ihr nicht…, dann geht die Welt unter!“. Die Götterdämmerung lässt Welzer dann aber doch nicht über sein Publikum herab, sondern fünf Ansätze, die zu verfolgen er empfehle:

Erstens: Keinen Entmächtigungsdiskurs zu führen. Das Potsdam Institut für Klimaforschung habe eine Studie veröffentlicht, in der die Forscher zum Schluss kämen, dass die sogenannten „Kipppunkte“, also jene Mechanismen, die zum Laufen kommen, sobald die Temperatur im globalen Mittel um 2°C ansteigt, und den Klimawandel beschleunigen, möglicherweise auch schon unter der Zweigradgrenze anspringen würden. Sprich: Die Paris-Ziele obsolet machten. Wäre es das Ziel der Forscher aus Potsdam gewesen, selbst noch die Engagierten der Ökobewegung zu demotivieren, müsse man 100 Punkte für die Zielerreichung vergeben. Auf gleicher Reizstufe wie das PIK steht bei Welzer die These mit dem Anthropozän. Also dass der Mensch quasi zentral und per DNA das Problem für den Klimawandel sei. Zweifellos sei der Mensch schuld an der Erderwärmung, aber eben nicht per se, sondern durch sein Tun. Schließlich hätten es die Menschen 200.000 Jahre lang ziemlich erfolgreich geschafft, das Weltklima nicht zu verändern.

„Ich wage die These: Wir – die Ökobewegung – haben keine attraktiven Alternativen im Angebot.“ Harald Welzer fordert mehr unmittelbare Lebensrelevanz im Nachhaltigkeitsdiskurs.

Zweitens: Eine neue Kommunikation mit ermutigenden und wirkmächtigen Geschichten zu entwickeln. Das Narrativ Martin Luther Kings „I have a dream“ habe auch darum die Welt bewegt, weil es die Wirksamkeit eines einzelnen Menschen auf die gesamte Gesellschaft gezeigt habe. Außerdem ließen sich gute Zukunftsbilder auch für sich stehend entwickeln. Denn eine Stadt ohne Autos wäre auch ohne Klimawandel eine erstrebenswerte mit neuem Lebens- und Begegnungsraum, findet Welzer und erntet Nicken aus dem Publikum. Wir – also die neue Ökobewegung – müssten Geschichten erzählen, an denen die Menschen andocken könnten und die basalen Bedürfnisse wie Gerechtigkeit, Sicherheit und Gemeinschaft ansprechen. Und nicht: „Erwachet und kehret um, sonst dräut euch der Untergang!“.

Drittens: Neue Formate der Partizipation zu entwickeln. Die klassische Latschdemo sei auch für Welzer zu mühsam, vor allem, wenn jemand auf die Bühne käme und den Teilnehmenden erzähle, warum alle da seien. Er wolle lieber Teil von Communities sein, die – wie beispielsweise die Aktion „1.000 Gestalten“ in Hamburg oder das Kollektiv „Peng!“, das auch einmal eine Pressekonferenz eines großen Energieversorgers fakt – frische Zugänge wagen würden.

Viertens: Wert auf die Gestaltung zu legen und eine eigene, gute Ästhetik für die Ökobewegung zu schaffen. Noch immer würde man, kritisiert der Soziologe, in Motiven der Happy Family auf der grünen Wiese verharren, die es schon vor fünfzig Jahren gegeben habe, mit Rama zum Beispiel oder Atomkraftwerk.

Und fünftens: Neue Visionen zu wagen. Geprägt von „Zukunft ist etwas, das zu vermeiden sei, deshalb erstarren wir in der Gegenwart“ mute sich heutzutage niemand Utopien zu, beklagt Welzer. Es gäbe keinen utopischen Film, keinen utopischen Roman, der nicht aus den Fünfzigern stamme. Akuter Handlungsbedarf, also!

Den sieht auch Alexander Abbrederis so, als er begründet, „warum wir ein neues Wirtschaften brauchen“. Jener ficht während seines Vortrags und vor allem in der anschließenden Diskussion spürbar einen nennen wir es einmal „engagierten inneren Dialog“ zwischen seinen Rollen als Privatperson, Unternehmer und Wirtschaftskammerfunktionär aus, denen zwar nicht im Kern, aber durchaus in den Tragweiten unterschiedliche Nachhaltigkeitskonzepte zugrunde liegen.

So sieht er durchaus die Politik in der Pflicht, Nachhaltigkeit bei den Unternehmen über gesetzliche Rahmenbedingungen durchzusetzen – sofern sie für alle gälten, und zwar alle in der EU. Denn unternehmerisches Engagement zur Nachhaltigkeit sei in seinem Fall zuerst einmal ein Wettbewerbsnachteil. Die höheren Produktionskosten für bessere Lösungen wären die Kunden nicht bereit zu zahlen – und damit könne er als Unternehmer die notwendigen Investitionen in den Maschinenpark oder „bessere“ Rohstoffe nicht tätigen.

"Wir brauchen Rahmenbedingungen, die fair und klar sind", fordert Alexander Abbrederis von der Politik mehr Mut ein.

Doch manchmal lohne sich auch die Geduld, illustriert er mit einer Geschichte aus seinem Unternehmen, das zu den größeren Verpackungsherstellern in Vorarlberg zählt. Seinen Wunsch, eine für einen deutschen Kunden hergestellte Verpackung mit einem kleineren CO2-Fußabdruck und höherer Rezyklierbarkeit zu versehen, musste er zurückstellen, weil der Kunde nicht bereit war, die höheren Kosten zu tragen. Demselben Kunden wurde die Lösung wenig später aufgrund verschärfter gesetzlicher Rahmenbedingungen allerdings deutlich schmackhafter gemacht, wodurch sich Abbrederis in der Lage sah, die zuvor zurückgestellte Idee doch noch umzusetzen.

Die Wirkmächtigkeit gesetzlicher Regulative zur Nachhaltigkeit unterstreicht Abbrederis mit einem zweiten Beispiel, ausgerechnet aus China. Seit die chinesische Regierung den Import von Altpapier deutlich eingeschränkt habe, wären Mehrweg-Transportsysteme auf dem Vormarsch, um die klassische Einwegkartonverpackung zu ersetzen.

Neben dem Gesetzgeber fordert der Vorsitzende der Jungen Wirtschaft Vorarlberg auch seine Unternehmerkolleginnen und -kollegen aus der Reserve: Nachhaltigkeit als Thema zu platzieren, sei nicht so einfach. Von den Veranstaltungen, die die JWV durchführe, würde sich etwa eine von zehn um das Thema drehen. Und das würde bereits ausreichen, um Fragen wie „Ist jetzt alles nur noch nachhaltig?“ aufzuwerfen.

„Intrinsische Motivation zur Nachhaltigkeit sehe ich wenig.“ Alexander Abbrederis sieht den Schlüssel zur wirtschaftlichen Transformation in Regulativen.

Das spiegle jetzt nicht die Grundhaltung aller Wirtschaftstreibenden wider, so Abbrederis. Aber ein bestimmtes Selbstverständnis klinge schon durch. Denn die Gemengelage attestiere der Wirtschaft derzeit einen hohen Stellenwert und einen gewissen Selbstzweck – da hakt Harald Welzer in der folgenden Diskussion noch einmal nach – so ein „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“-Selbstverständnis eben. Einer notwendigen wirtschaftlichen Transformation ohne regulierende Leitplanken gibt Abbrederis daher keine Chancen.

Das sieht auch Naturschutzanwältin Katharina Lins so. Die Landschaft ist unter Druck, konstatiert sie. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigten, dass der Entwicklung des Wirtschaftsstandortes eine sehr hohe Priorität eingeräumt werde. Wobei man sich beizeiten fragen müsse, was von dem, was wir hier in Vorarlberg treiben würden, wirklich sinnvoll sei. Dabei will sie sich nicht als generelle Verhindererin verstanden wissen. Es müsse Möglichkeiten geben, den Status quo zu verbessern, aber im gegebenen Rahmen. Eine weitere Nutzung freier Fläche sei nicht zwingend erforderlich. So wurde beispielsweise für einen großen Lebensmittelhersteller nach Bürgerprotesten eine Alternative gefunden, die seine Expansion sicherstelle, ohne die Landesgrünzone anzutasten.

„Manchmal treffe ich auch ganz normale Leute von außerhalb der Öko-Bubble. Die finden das, was ich tu‘, schon relevant für sie.“ Naturschutzanwältin Katharina Lins spürt keine fehlende Daseinsberechtigung.

Gestaltungsmöglichkeiten sieht Lins dabei bei allen Akteuren und möchte sich nicht allein auf politische Rahmenbedingungen verlassen. Einen Wunsch an die Politik kann sie sich aber nicht verkneifen und stellt die Frage, ob das Land nicht strategischer entscheiden sollte, welche Betriebe für die Entwicklung des Standortes aus mehreren Perspektiven positiv wirkten und daher unterstützt und gefördert würden?

Dass wie beim von Katharina Lins genannten Beispiel größere Projekte nicht ohne Bürgerbeteiligung und –proteste ablaufen würden, daran sollten sich die Verantwortlichen laut Kriemhild Büchel-Kapeller gewöhnen. Denn die steigende Dichte generiere zunehmende Nutzungskonflikte und dadurch erhöhte Betroffenheiten. Als Partizipationsspezialistin freue es sie zu sehen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger eigenverantwortlich einbrächten, sobald deren Lebensrealität tangiert sei. Gleichzeitig vergrößere der zunehmende Vertrauensverlust zwischen Bevölkerung, Politik und Wirtschaft die Notwendigkeit, partizipativen Prozessen Raum, Zeit und Gelegenheit zur Entfaltung zu geben. Raum für Prozesse, Reflexion und Resonanz wäre außerdem weit besser geeignet, fruchtbaren Boden zu schaffen, als Macht und Druck. Dabei sei sie weit davon entfernt, der Wirtschaft den schwarzen Peter zuzuschieben.

Besonders den Gemeinden attestiert sie dabei eine Schlüsselrolle. Sie wären aufgrund ihrer Nähe zu den Bürgern mit der notwendigen Glaubwürdigkeit ausgestattet, partizipative Prozesse zu initiieren. In diesem Zusammenhang würde auch auffallen, dass „Die Wirtschaft“ nicht per se „die Bösen“ wären, wenn es um Nutzungskonflikte oder Nachhaltigkeit ginge. Es gäbe genug Wirtschaftstreibende, die mit großem Engagement in ihren Gemeinden aktiv seien. Doch würden wir uns im Diskurs nicht immer die Zeit nehmen, zu differenzieren.

„Gelungene Beziehungen sind auf allen Ebenen unumgängliche Basis für ein gutes Leben.“ Kriemhild Büchel-Kapeller bringt die Notwendigkeit, Betroffene zu Beteiligten zu machen, auf den Punkt.

Mehr Härte im Diskurs ortet auch Harald Welzer und begründet diese durch das zentrierte Selbstverständnis, das die Wirtschaft über ihren eigentlichen Zweck – nämlich den Austausch von Stoffen und Leistungen zwischen den Menschen sicher zu stellen und ihnen dadurch zu dienen – hinaus in den letzten Jahrzehnten gewonnen hätte. Dadurch wären die Gewichte neu verteilt worden und die Zivilgesellschaft wäre sich neu zu finden im Begriff, was an vielen Stellen der Gesellschaft sichtbar würde. Das sieht er aber nicht per se bedenklich, denn Demokratie würde sich auch konflikthaft entwickeln. Und Konfliktpotential ortet er da wie dort. So würde die Wirtschaft – bezieht er sich auf Abbrederis – zwar ambitionierte Rahmenbedingungen fordern, sie aber nach Kräften bekämpfen und jene Maßstäbe fördern, die Ökonomie über Ökologie stellten.

Daher könne es nicht anders sein, dass die Entwicklung eben so verlaufe, wie sie verlaufe und Unternehmen, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet sehen, erst einmal einen Wettbewerbsnachteil einfahren würden. Das läge vor allem darin begründet, dass bestimmte (hohe) Kosten externalisiert würden – beispielsweise für Umwelt- oder Gesundheitsfolgen. Welchen Preis hätten Produkte, wenn das Auslagern von Kosten auf die Allgemeinheit verboten würde? Wie würden Unternehmen Kosten senken? Durch Regionalisierung beispielsweise, da der zu realen Kosten eingepreiste Transport die heimische Produktion mit kurzen Wegen wieder attraktiv machen würde. Außerdem würde sich der Fokus auf materiellen Konsum reduzieren, ist Welzer überzeugt. Schließlich wolle man als jemand gesehen werden, der ein wichtiger Mensch war, weil er gut war – nicht materiell wohlhabend. Eltern wollten ihren Kindern in erster Linie gute Eltern sein.

„In der Todesanzeige lesen Sie nicht: ‚Fuhr einen Audi Q7‘!“ Harald Welzer relativiert das Bedürfnis, sich final über den Konsum zu definieren.

Das bestätigt auch Kriemhild Büchel-Kapeller, die in zahllosen Prozessen bei den Teilnehmenden stets die Wahrnehmung von guten Beziehungen als essentielle Basis eines guten Lebens erfährt.

Und während sich die Gäste der Energie Lounge an dem Punkt in Einigkeit ergehen, dass weder Hopfen und Malz noch die Fähigkeit der industrialisierten Gesellschaft zur nachhaltigen Transformation verloren seien, taucht aus dem Publikum die zarte Frage nach dem zündenden Funken und die halbernste nach einer allfälligen Notwendigkeit der Ökodiktatur auf, die von Welzer mahnend abgelehnt wird: Wir müssten uns vor Augen halten, dass das Konzept der Nachhaltigkeit vor allem dazu diene, unsere Gesellschaft vital zu halten. Diese sei eine liberale, offene Gesellschaft. Sie zu verteidigen mit illiberalen Mitteln sei ein Widerspruch in sich selbst. Worauf kein Widerspruch folgt.

Für die Fans taktiler Erlebnisse gibt es die Nachlesen zu den Energie Lounges auch in gedruckter Form, und zwar kostenlos in unserem Broschürenshop.

Bildnachweis (alle Bilder dieser Seite): Darko Todorovic.


Diese Veranstaltung wird im Zuge von GreenSan durchgeführt. GreenSan ist ein Projekt von Energieinstitut Vorarlberg, Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!), Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA), Energieagentur Ravensburg, Energieagentur St. Gallen und der baubook gmbh. Es wird gefördert von der Europäischen Union im Rahmen von Interreg A-B-H.