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"Ich halte das aktuelle Fördersystem nicht mehr für zeitgemäß"

Vera Immitzer ist Geschäftsführerin des Branchenverbandes PV Austria. Wir haben mit ihr im Rahmen des Fachforums Strom & Wärme über die aktuelle Situation der PV-Branche in Österreich gesprochen.

Vera Immitzer ist Geschäftsführerin des Branchenverbandes PV Austria. Wir haben mit ihr im Rahmen des Fachforums Strom & Wärme über die aktuelle Situation der PV-Branche in Österreich gesprochen.

Wie geht’s der PV in Österreich grundsätzlich?

Gut! Der Photovoltaik geht’s grundsätzlich gut. Sie ist erwachsen geworden, in der Breite angekommen. Die Branche ist daher auch extrem ausgelastet und viele Projekte müssen bereits ins nächste Jahr verschoben werden. Netzkapazitäten sind auch eine Herausforderung, da wurde in der Vergangenheit zu wenig ausgebaut. Das wird auch der Bottleneck in den nächsten Jahren werden.

Lange Wartezeiten sind auch ein Thema in der Energieberatung, oft auch mangels Anlagenkomponenten. Wie schaut’s da aus?

Die Versorgungslage hat sich gebessert, bei den Wechselrichtern gibt’s aber noch Nachholbedarf. Das größte Problem sind aber Engpässe bei den Fachkräften.

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Wo fehlt das Personal denn konkret?

Überall! Fachkräfte fehlen in der Beratung, in der Planung, in der Montage. Auch bei den Netzbetreibern. Wir brauchen überall Personal, man kann es gar nicht genau auf einen Bereich festlegen.

Ist Besserung in Sicht bei den Fachkräften?

Jein. Schon lange wird darüber geredet, dass wir Ausbildungen umstrukturieren müssen, dass wir Kontinuität brauchen, die wir in der Vergangenheit nicht hatten, auch aufgrund der Förderthematik. Das hat Unternehmen davon abgehalten, in die Ausbildung ihrer bzw. neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren.

"Besonders wichtig ist es jetzt, auch gewerkübergreifend auszubilden. Wir müssen Dachdecker, Fassadenbauer und andere gewinnen, auch in der PV mitzuarbeiten."

Das rächt sich jetzt, denn die Ausbildung dauert ihre Zeit, auch wenn es Bereiche gibt, in denen schnell ausgebildet werden kann, in der Montage zum Beispiel. Und das ist auch insofern schade, als dass wir schon lange davor gewarnt haben. Besonders wichtig ist es jetzt, auch gewerkübergreifend auszubilden. Wir müssen Dachdecker, Fassadenbauer und andere gewinnen, auch in der PV mitzuarbeiten. Da sehen wir seit einiger Zeit auch ein steigendes Interesse.

Apropos steigen: Auch die Preise von Anlagen sind jüngst gestiegen und wir werden oft gefragt: Jetzt teuer bauen oder auf fallende Preise hoffen?

Jetzt planen. Es dauert ohnehin einige Zeit, bis die Anlage realisiert ist.

Wie geht’s Ihnen mit der aktuellen Fördersituation?

Das war ein ewiges Stop and Go, eigentlich ein Wahnsinn, was man in den letzten 15 Jahren der Branche zugemutet hat. Jetzt gibt’s für die nächsten Jahre mit dem EAG grundsätzlich klare Rahmenbedingungen, auch wenn die Umstellung groß und herausfordernd war. Mittlerweile kennen sich Unternehmen und Kunden aus. Zudem stehen unglaublich viele Mittel zur Verfügung, fast 600 Millionen allein heuer, das ist schon gewaltig, was da jetzt in Bewegung gesetzt wird.

Außerdem sollten heuer wohl alle Privatpersonen eine Förderung bekommen, weil auch der Klimafonds noch mit Fördermitteln aushilft. Bei den Unternehmen schaut’s nicht ganz so gut aus, weil erstens der Budgetfokus bei den Förderungen eher auf den Privatpersonen liegt und zweitens Unternehmen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen wirklich erst dann die Anlage bestellen dürfen, wenn sie die Förderzusage haben. Das ist bei der derzeitigen Marktsituation herausfordernd.

Braucht’s gerade bei kleinen Anlagen auf privaten Wohngebäuden die Förderung eigentlich noch? PV-Anlagen sind ja auch ohne Förderung wirtschaftlich.

Eine Unterstützung finde ich schon sinnvoll. Ich halte aber das aktuelle Fördersystem für die PV als Massenphänomen nicht mehr für zeitgemäß. Für die privaten Anlagen fände ich eine Mehrwertsteuerbefreiung oder das geltend Machen beim Steuerausgleich eine praktischere und vor allem unbürokratischere Alternative.

"Ich halte aber das aktuelle Fördersystem für die PV als Massenphänomen nicht mehr für zeitgemäß."

Apropos Alternativen: Die PV-Stromerzeugung findet in Österreich vorwiegend auf Dächern statt. Wie sehen Sie die Alternativen dazu?

Das wirklich faszinierende an der PV-Technik ist, dass sie so vielseitig einsetzbar ist. Jede Fläche, die nur irgendwie zur Sonne schaut, kann zur Stromerzeugung genutzt werden. Nicht jede ist aber gleich gut geeignet. Lärmschutzwände beispielsweise werden immer wieder genannt, die sind aber nur eingeschränkt und nur auf der straßenabgewandten Seite nutzbar. Die Überdachung von Parkplätzen bringt auch noch ein paar Fragezeichen mit sich, wird aber teils schon extra gefördert und wird auch stärker kommen

An den Fassaden gibt’s ein Thema mit dem Brandschutz, aber da sind wir vor allem mit der Stadt Wien daran, Lösungen zu erarbeiten. Ich glaube, dass wir nicht umhinkommen werden, verstärkt Freiflächenanlagen zu errichten, weil wir das große Dachpotential leider nicht ausreichend schnell ausnutzen können.

Bleiben wir beim Blick in die Zukunft: Was haben Sie an Neuerungen am Radar?

Sicher Lösungen für die Fassade. Es wird weitere Effizienzsteigerungen in der Modulleistung geben, also für eine bestimmte Leistung wird noch weniger Fläche benötigt werden. Und wir müssen endlich weiterkommen bei der Entlastung der Netze durch die Einbindung von Elektrofahrzeugen, also Vehicle to grid, da fehlen nach wie vor die rechtlichen Rahmenbedingungen. Gleiches gilt für die Netzdienlichkeit von Batteriespeichern.

Die großen Neuerungen sehe ich insgesamt eher im rechtlichen oder organisatorischen Bereich.

Die großen Neuerungen sehe ich daher insgesamt eher im rechtlichen oder organisatorischen Bereich, auch zum Beispiel bei der gemeinschaftlichen Nutzung von Strom aus PV-Anlagen.

Wo sich gerade wieder was ändert, ist die Rückkehr der PV-Produktion nach Europa.

Ja, es gibt glücklicherweise noch Modulproduzenten in Europa, auch in Österreich. Und wir haben gesehen, was passiert, wenn ein Schiff mit Modulen und Wechselrichtern beladen am Suezkanal hängen bleibt oder China eine Null-Covid-Strategie ausruft. Der Trend geht dahin, wieder mehr in Europa herzustellen, was für die Resilienz extrem sinnvoll ist. Da gilt es, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. In den USA beispielsweise bekommen Unternehmen Steuererleichterungen, wenn sie in den Ausbau investieren und Produkte gefertigt in den USA kaufen.

Am anderen Ende der Herstellung steht die Entsorgung. Wie schaut’s mit dem Recycling aus?

Das ist ein bisschen ein Henne-Ei-Problem: Recycling-Anlagen entstehen dann, wenn es etwas zu verwerten gibt, und das ist noch nicht so viel. Deshalb ist das Recycling derzeit noch viel Handarbeit, das wird sich aber mit der Zeit ändern. Und es gibt ein Gesetz, in dem klar geregelt ist, wie PV-Anlagen zu verwerten sind.

Sie sind schon eine Zeit lang in der Branche tätig, wie hat sich die Diskussion rund um die PV in den Jahren ganz generell entwickelt?

Gut, die Branche und der Verband ist ein angesehener Player, die Technologie ist ein Schlüssel der Energiewende. Die Diskussion ist faktenbasiert und von viel technischem Knowhow geprägt, was auch notwendig ist. Die großen Herausforderungen sind die Netzkapazitäten, die Bürokratie bei der Umsetzung von Anlagen und das Fachkräftethema, das uns die nächsten Jahre beschäftigen wird. Aber wir sind gut unterwegs.

"Die großen Herausforderungen sind die Netzkapazitäten, die Bürokratie bei der Umsetzung von Anlagen und das Fachkräftethema, das uns die nächsten Jahre beschäftigen wird."

Wenn Sie einen Tag lang quasi allmächtige PV-Minsterin in Österreich wären, was würden Sie tun?

Ich würde ein Beschleunigungsgesetz erlassen, mit dem PV-Anlagen schneller und unbürokratischer errichtet werden können.

Würde das sogar in Richtung PV-Pflicht gehen?

Absolut. Die gibt’s in Wien, der Steiermark und in Niederösterreich für neue Gebäude auch schon. Und weitere Bundesländer denken schon darüber nach.

Das Gespräch mit Vera Immitzer fand am Fachforum Strom & Wärme am 9. Mai 2023 statt. Das nächste Fachforum gibt’s am 11. Oktober im Rahmen der Fachtagung zur Energieautonomie. Details und Anmeldung hier.