Dämmen statt fliegen: Was wir mit dem Öl anstellen könnten
Wie viele Häuser könnte man mit dem Öl aus dem Flugaufkommen in Friedrichshafen dämmen? Ein Gedankenexperiment zum Mitrechnen.
Wie viele Häuser könnte man mit dem Öl aus dem Flugaufkommen in Friedrichshafen dämmen? Ein Gedankenexperiment zum Mitrechnen.
Die Lufthansa Group gibt auf ihrer Webseite bekannt, dass ihre Flotte nach der jüngsten Erneuerung nur noch 3,65 Liter Kerosin pro 100 Fluggastkilometer benötigt. Rechnen wir mit diesen 3,65 Litern pro Kopf und 100 Kilometern und nehmen wir als Rechenbeispiel einen Flug von Friedrichshafen nach Heraklion (Kreta) an. Rund 3.800 km lang ist der Flug hin und zurück, typischerweise vollbesetzt mit 180 Personen.
Der CO2-Ausstoß in Würfeln
Mit diesen Daten lässt sich der Treibstoffverbrauch abschätzen: Es sind rund 25.000 Liter oder 19,9 Tonnen Kerosin. Würde das Flugzeug die im letzten max50 beschriebenen rosaroten, schwabbeligen CO2-Würfel produzieren, dann blieben auf der Strecke 71.100 solcher Würfel zurück, von denen dann jeder einzelne mit 624 Kubikmeter Frischluft verdünnt werden muss, damit gemäß Raumlufthygienevorschrift wieder zulässige Atemluft daraus wird. (Das gibt das Volumen von rund 177.500 Einfamilienhäusern, um dieselben Messgrößen wie im letzten max50-Artikel zu verwenden. Vergleiche: In Vorarlberg stehen etwa 80.000 Einfamilienhäuser. Diese würden zwei Mal mit schlechter Luft gefüllt.) Oder andersrum: Alle 53 Meter wird ein CO2-Würfel frei, der dann 624 Kubikmeter Frischluft grenzwertig belastet. Das Flugzeug selbst ist vergleichsweise etwa 40 Meter lang.
Die Primärenergie
Rückgerechnet auf die Menge an Rohöl, die man einer Lagerstätte entnehmen muss, um am Flughafen die erforderliche Menge Kerosin bereitstellen zu können, ergeben sich gemäß Primärenergiefaktoren aus www.umweltbundesamt. at rund 23,3 Tonnen Rohöl, wovon 17 % als Energieträger für die Raffination und für Transport von der Quelle bis zum Flugzeug verbraucht werden. Wenn wir also Weichen anders stellen und das Rohöl für einen anderen Zweck verwenden wollten, hätten wir rund 23,3 Tonnen Rohöl zur Verfügung.
An der Quelle – die Qual der Wahl
Von hier ab kann man auch einen anderen Weg für das Rohöl wählen. Stellen wir uns die Frage, was man erreichen kann, wenn man diese Menge an Rohöl für Wärmedämmung einsetzt?
Dämmen statt fliegen?
Der häufigste und kostengünstigste Dämmstoff – wenn auch der umstrittenste, weil aus Erdöl hergestellt – ist Polystyrol. Wird diese Menge Rohöl für die Dämmstoffherstellung verwendet, dann werden rund 60 % für Raffination, Transportprozesse von der Ölquelle bis an das betreffende Gebäude, Aufschäumen des Granulates und Konfektion und Montage verbraucht (z. B.: www.baubook. at). Rund 40 % des Rohöls bleiben als Strukturmaterial im Dämmstoff erhalten – und stehen damit für eine thermische Nutzung in einem Blockheizkraftwerk nach Ende der Nutzungsdauer noch zur Verfügung. Man erhält also rund 9.400 kg Dämmstoff aus dieser Menge Rohöl. Bei einer Dichte von 15 kg/m3 ergibt sich ein Dämmstoffvolumen von 628 m3 oder rund fünf Lkw-Ladungen mit 12 m Länge.
Wie viele Einfamilienhäuser kann man dämmen?
Als Beispielhaus soll ein typisches Einfamilienhaus aus den 60er oder frühen 70er Jahren dienen: Mit Abmessungen von 9 mal 10 Meter in der Grundfläche und einer Raumhöhe von 2,5 m hat es eine thermische Hülle von etwa 370 m2. Das sind die Außenwände ohne Fensterflächen, die oberste Geschoßdecke und die Kellerdecke. Als Dämmstärke können 20 Zentimeter angenommen werden, die Kellerdecke etwas weniger, die oberste Geschoßdecke um dieses Maß mehr, im Schnitt eben 20 cm. Schneidet man die 628 m3 Dämmstoff in Platten zu 20 cm, bekommt man 3.140 m2 Dämmplatten und damit könnte man rund acht der oben beschriebenen Einfamilienhäuser zeitgemäß dämmen – mit dem Rohöl eines Charterfluges nach Griechenland. Das erscheint auf den ersten Blick als eine eher geringe Zahl. Vorsicht Falle: Auf die Langzeitwirkung und die Gesamtschau kommt es an.
Der Blick auf das Ganze
Der Flughafen Friedrichshafen zum Beispiel gibt als eher kleiner Flughafen in seinem Geschäftsbericht 2017 über 34.000 Flugbewegungen, davon 6.600 in der Sparte „Linien- und Touristikverkehr“ an. Nehmen wir als Gedankenexperiment an, dass der analysierte Flug nach Heraklion und zurück repräsentativ wäre für „Linien- und Touristikverkehr“. Es ist ja nur ein Gedankenexperiment. (Vorsicht, ein Hin- und Rückflug sind schon zwei Flugbewegungen.) Dann käme man auf 3.300 x 8 Häuser = 26.400 Einfamilienhäuser – man könnte in diesem Gedankenexperiment ein Drittel alle Vorarlberger Einfamilienhäuser mit dem Rohölbedarf des Kleinflughafens aus einem Jahr dämmen. Das liegt Welten über der angestrebten Sanierungsrate von 2 % pro Jahr.
Die Wirkung des Dämmstoffes
Für eine Polystyroldämmung wird heute eine Nutzungsdauer von 40 Jahren angenommen, die Praxis zeigt, dass das bei Einfamilienhäusern deutlich überschritten wird. Ein Haus dieser Größe im Standard der 60er Jahre hat einen Heizölverbrauch von typischerweise um die 3.000 Liter pro Jahr, wenn es voll beheizt wird. Nach Dämmung dieser Art und dem dazu passenden Fenstertausch könnten die Einsparungen – wieder hochgerechnet auf Rohöl an der Quelle – in diesen 40 Jahren um die 130.000 Liter sein. Ein gedämmtes Haus würde also vier Flüge einsparen, alle acht mitsammen 36 Flüge (rund eine Mio. Liter Rohöl). Und so gesehen zählt dies zu den richtungsweisenden Entscheidungen, die wir dringend brauchen. Würde es hierbei nicht um Kilowattstunden und Rohöl und um CO2-Emissionen, sondern um Geld gehen, es gäbe wohl keine Zweifel am Ausgang der Entscheidung: Bevor man nicht gedämmt hätte, würde man wohl kaum fliegen.
Die Quintessenz
Beinahe täglich stehen wir vor Entscheidungen dieser oder ähnlicher Art. Und sie werden spontan und emotional getroffen, oft nur, weil uns der Blick auf das Ganze und das Wissen für die Zusammenhänge fehlen. Und im Rückblick über die Jahre wird erkennbar, was zu tun gewesen wäre. Dadurch entsteht ein jährlich wachsender Mehrverbrauch, ohne die dafür notwendigen Einsparungen durchzuführen. Aber: Es kann uns niemand verbieten, über Nacht gescheiter zu werden.